Scheinselbstständigkeit - Vertrauensschutz bei Betriebsprüfungen
Der Einsatz von freien Mitarbeitern wird zunehmend riskant. Die Sozialversicherungsträger erkennen freie Mitarbeiter immer seltener an und stellen abhängige und damit beitragspflichtige Beschäftigung fest. Dies kann zu hohen Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen führen.
Das Risiko ist umso größer, wenn freie Mitarbeiter (Freelancer, Honorarkräfte, Subunternehmer) bei früheren Betriebsprüfungen nicht beanstandet wurden. Denn in vielen Fällen nehmen die Prüfdienste lediglich Stichprobenprüfungen vor und kontrollieren die Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen nur für die festangestellten Mitarbeiter, während die freien Mitarbeiter (Honorarkräfte, Subunternehmer) unbeachtet bleiben. Daraus ergibt sich die Frage, in welchem Umfang ein Prüfbescheid, der den Einsatz freier Mitarbeiter nicht beanstandet, für die Zukunft Vertrauensschutz bietet und man sich auf die Bestandskraft eines solchen Bescheides berufen kann. Bedeutet dies, dass die Selbstständigkeit anerkannt wurde und Beiträge für diese Mitarbeiter später nicht mehr gefordert werden dürfen?
Verwirkung einer Beitragsforderung?
Beitragsforderungen können durchaus verwirken. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist auch im Sozialversicherungsrecht anerkannt. Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte sein Recht während eines längeren Zeitraums nicht ausgeübt hat und zusätzliche besondere Umstände hinzutreten, die das verspätete Geltendmachen des Rechts als illoyal erscheinen lassen. Solche "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Kein Schutz vor Nachforderungen
Eine Betriebsprüfung begründet im Regelfall jedoch keinen Vertrauenstatbestand. Sie betrifft zunächst nur einen bestimmten Zeitraum. Wenn zudem ein Prüfbescheid keinerlei konkrete Aussagen zur Sozialversicherungspflicht freier Mitarbeiter macht und keinerlei Bewertungen der sonstigen Subunternehmer vornimmt, kann ein Arbeitgeber daraus kein schützenswertes Vertrauen ableiten. Denn Betriebsprüfungen haben nur eine Kontrollfunktion. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern und andererseits die Sozialversicherungsträger davor zu bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung haben Betriebsprüfungen nicht. Insbesondere haben sie keine Schutzfunktion gegenüber Arbeitgebern und dienen nicht seiner Entlastung. Auch den den Prüfberichten kommt keine weitergehende Bedeutung zu. Selbst Nachforderungsbescheide bezwecken nicht den Schutz vor etwaigen weiteren Nachforderungen für den geprüften Zeitraum.
Ausdrückliche Einzelfallregelungen notwendig
Nur wenn im Nachforderungsbescheid ausdrücklich eine Einzelfallregelung dahingehend getroffen wird, dass die Feststellungen oder Nachforderungen für den Prüfzeitraum abschließend sind und keine weitere Nachforderung stattfinden soll, kann anderes gelten. Dies gilt auch für kleine Betriebe.
Keine Pflicht zur vollständigen Prüfung
Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV auch in kleinen Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet. Ein schützenswertes Vertrauen in Betriebsprüfungen besteht selbst dann nicht, wenn (zeitweise) nur eine Person sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Verhalten in Zweifelsfällen - Rechtssicherheit
Im Zweifelsfall müssen sowohl der Arbeitgeber als auch die freien Mitarbeiter (Honorarkräfte, Subunternehmer) rechtzeitig Anträge auf Statusklärung nach § 7a SGB IV oder § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV stellen und eine Entscheidung durch Verwaltungsakt herbeiführen. Dies ist ständige Rechtsprechung der Sozialgerichte (z.B. LSG Baden-Württemberg – B.v. 04.09.2013 - L 11 R 2315/13 ER-B mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG).
Zwar besteht keine Rechtspflicht, Statusklärungen zu beantragen. Bei Unsicherheit und in Zweifelsfüllen ist jedoch grundsätzlich immer eine Statusklärung zu empfehlen.