Rente wegen Erwerbsminderung
- Voll erwerbsgemindert ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
- Teilweise erwerbsgemindert ist, wer unter diesen Voraussetzungen nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Wer noch irgendeine Berufstätigkeit vollschichtig ausüben kann, ist nicht erwerbsgemindert. Auf die Lage am Arbeitsmarkt kommt es nicht an.
Im Selbsteinschätzungsbogen R0215 sind deshalb die Erkrankungen und das berufliche Restleistungsvermögen anzugeben. Die Deutsche Rentenversicherung überprüft diese Angaben durch Einholung von medizinischen Gutachten. Ausnahmsweise kann auch bei grundsätzlich vollschichtigem Leistungsvermögen ein Rentenanspruch bestehen. Hierzu gehören:
- Verschlossenheit des Arbeitsmarktes: Der Versicherte kann zwar an sich noch eine Vollzeittätigkeit ausüben, aber nicht mehr unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen.
- Schwere spezifische Leistungsbehinderung: Spezifische gesundheitliche Einschränkungen, die eine Berufstätigkeit generell unmöglich machen (z.B. Gebrauchsunfähigkeit der Hände).
- Häufung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen: Wenn sich mehrere gesundheitliche Einschränkungen erst in ihrer Gesamtheit auswirken, z. B. Sehstörungen und Bewegungseinschränkungen der Hände, Ausschluss bestimmter Umwelteinflüsse wie Kälte, Nässe oder Staub
Fallbeispiele finden Sie hier.....
Aktuelle Hinweise :
» Fibromyalgie: Anforderungen an die ärztliche Begutachtung - fachübergreifende Gesamtschau - LSG Berlin-Brandenburg - 27.10.2003 - L 16 RA 71/01
Die medizinische Begutachtung von Fibromyalgiepatienten führt aus Sicht der Rentenantragsteller oft zu enttäuschenden Ergebnissen, weil die Gutachter häufig nur „durch die Brille“ ihres eigenen Fachgebietes blicken.
Das Bundessozialgericht hat allerdings mehrfach darauf hingewiesen, dass bei der Begutachtung einer Fibromyalgie der Sachverständige "fachübergreifende" Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und der Beurteilung des Krankheitsbildes der Fibromyalgie besitzen muss, unabhängig davon, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater tätig ist.
Eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27.10.2003 (L 16 RA 71/01) zeigt, wie eine ganze Serie von negativen Gutachten „kippen“ kann, wenn die geforderte fachübergreifende Betrachtung von einem Gutachter verantwortungsvoll durchgeführt wird. Im behördlichen Rentenantragsverfahren sowie im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hatten insgesamt fünf Gutachter im Ergebnis übereinstimmend festgestellt, dass die Klägerin trotz der vorhandenen Erkrankungen und Leistungseinschränkungen noch vollschichtig leistungsfähig sei. Der Versicherungsträger hatte zunächst je ein Gutachten eines Chirurgen/Orthopäden, einer Internistin sowie einer Ärztin für Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Diese Ärzte bescheinigten der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, für Tätigkeiten „entsprechend dem Ausbildungsberuf“ ohne schweres Heben und Tragen bzw. für die Tätigkeit als Verkäuferin oder sonstige „altersentsprechende Frauenarbeit.“
Das Sozialgericht beauftragte einen Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physikalische Medizin, der auf seinem Fachgebiet eine gering bis mittelschwer ausgeprägte primäre Fibromyalgie diagnostizierte und die Klägerin zumindest im Hinblick auf „leichte Frauenarbeiten“ überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des gelegentlichen Haltungswechsels in geschlossenen Räumen für vollschichtig leistungsfähig hielt. Ferner beauftragte das Sozialgericht einen Arzt für Psychiatrie und Neurologie, der ergänzend ein anhaltendes somatoformes Schmerzsyndrom bei degenerativen und rheumatischen Veränderungen der Wirbelsäule, der Gelenke und des Bindegewebes sowie eine gemischte Störung aus Angst und Depressionen feststellte, sich jedoch ebenfalls der Leistungsbeurteilung des Vorgutachters anschloss. Das Sozialgericht wies daraufhin die Klage ab.
Das Landessozialgericht setzte eine Fachärztin für Allgemeinmedizin als Sachverständige ein. Diese kam zu folgenden Diagnosen: Chronisch wiederkehrendes Halswirbelsäulensyndrom, Cervicobrachialgiesyndrom, chronisch wiederkehrende Lumboischialgien, chronisch-generalisierte Schmerzerkrankung – primäres Fibromyalgiesyndrom –, chronischer Schmerzzustand beider Achillessehnen, Fingergelenkspoliarthrose, chronische Depressionen, Angststörung, Zwangsstörung, Konzentrationsstörungen, Bluthochdruck, Schwindel, Übergewicht, Hyperlipoproteinämie. Diese Gutachterin bescheinigte der Klägerin ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen. Insbesondere das chronische Schmerzsyndrom sei in den bislang eingeholten Gutachten nicht ausreichend diskutiert bzw. berücksichtigt worden und stehe einer Arbeitsleistung unter betriebsüblichen Bedingungen entgegen. Die Vorgutachter hätten sich ausschließlich auf ihr jeweiliges Fachgebiet bezogen, ohne eine Gesamtschau vorzunehmen. Diese sei aber gerade bei der diagnostizierten primären Fibromyalgie unentbehrlich. Eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in wesentlichem Umfang sei nach menschlichem Ermessen auszuschließen. Die weitere Prognose des Fibromyalgiesyndroms sei nicht günstig.
Das Landessozialgericht folgt dieser Einschätzung und stellte hierzu unter anderem fest, dass in Anbetracht der im Vordergrund stehenden Gesundheitsstörungen, nämlich der primären Fibromyalgie und der chronifizierten Schmerzerkrankung gerade der Allgemeinmediziner dazu berufen sei, auf der Grundlage von Befunden aus dem orthopädischen und dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet die bei derartigen Krankheitsbildern unerlässliche Gesamtschau vorzunehmen. Der Versicherungsträger könne nicht einwenden, dass keine quantitativ leistungsmindernden, objektivierbaren Funktionseinschränkungen benannt worden seien. Denn gerade bei Schmerzpatienten fehle naturgemäß eine objektive Messmethode zur Quantifizierung des Schmerzes. Dies erschwere zwar einerseits die Leistungsbeurteilung, erfordere aber eine umfassende, differenzierte und in jeder Hinsicht einsichtige Befragung des Versicherten. Die Sachverständige habe insoweit die Entwicklung der Schmerzsymptomatik bei der Klägerin und ihre Auswirkungen insbesondere auf den Bereich der sozialen Möglichkeiten und Aktivitäten überzeugend erfragt, die vom Sozialgericht eingeholten Vorgutachten kritisch gewürdigt und fachübergreifend plausibel dargestellt, dass bei einem Fortschreiten des Leidens die Klägerin nicht in der Lage sei, welche Arbeitshaltung auch immer für längere Zeit einzunehmen. Im Zusammenhang mit der Schmerzsymptomatik sei zudem die Konzentrationsfähigkeit der Klägerin wesentlich beeinträchtigt. Diese Einschätzung stehe – so das LSG - nicht einmal zu den im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens eingeholten Sachverständigengutachten in Widerspruch. Diese Gutachten hätten keine geringere Überzeugungskraft. Es habe jedoch erst die Gesamtschau aller vorliegenden Sachverständigengutachten ergeben, dass es sich bei dem im Vordergrund stehenden Krankheitsbild um ein chronifiziertes, sich schleichend verschlechterndes Leiden handele, welches nunmehr nach den Feststellungen der zuletzt beauftragten Sachverständigen in einen therapieresistenten Dauerzustand eingemündet sei.
Interessant an dieser Entscheidung ist u.a. der Hinweis des Gerichts, dass gerade Allgemeinmediziner dazu berufen seien, die erforderliche Gesamtschau vorzunehmen. Dieser Hinweis ist schlüssig: Nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer zählt speziell zum Fachgebiet des Allgemeinmediziners u.a. auch die Bewertung der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, der Arbeitsfähigkeit, der Berufs- und Erwerbsfähigkeit sowie der Pflegebedürftigkeit.
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